Das Stricken war ihre Passion
Sie war ein Gesicht des WAA-Widerstands – Trauer um Irmgard Gietl aus Maxhütte

29.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:19 Uhr
Norbert Wanner

Die Stricknadeln in der Hand- So kannte man die bescheidene Maxhütterin. Foto: Alex Huber, Archiv

Wer Irmgard Gietl kannte, der erlebte einen Menschen voll Wärme, mit einem großen Herzen, bescheiden, mit einem unverstellten, schlichten Blick auf die Dinge, in dem viel Weisheit lag. Sie war aber auch eine Kämpferin, eine Säule, ja eine Ikone des Widerstands gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, kurz WAA. Nun ist sie im Alter von 93 Jahren verstorben.

Wie beeindruckend Gietl war, belegen die filmischen Porträts über sie. Bertram Verhaag und Claus Strigel drehten 1986 den vielfach ausgezeichneten Film „Spaltprozesse“, der unter anderem auf der Berlinale lief. Der Film dokumentierte, auch mit Wortmeldungen von Gietl, die gesellschaftlichen Spaltprozesse, die die WAA in der Oberpfalz auslöste.

1988 folgte in der Reihe „Frauengeschichten“ ein Film, der sich allein um Gietl drehte. 2018 widmete ihr der BR eine Folge der „Lebenslinien“, und natürlich durfte auch im Spielfilm „Wackersdorf“ eine von ihrer Person inspirierte Figur nicht fehlen. Strigel, zusammen mit Verhaag Grimmepreisträger, hat in einem Gespräch über Gietl einmal gesagt: „Die Frage, die mich so fasziniert hat, ist: Woher nimmt jemand den Mut, sein bisheriges Leben zu verlassen und eine Dekade lang dieses Leben dem Widerstand gegen die WAA zu widmen?“.

„Mei Leb‘n is mei Stricka“



Gietl selbst sagte in ihrer bescheidenen Art über sich: „Mei Leb’n is mei Stricka“. Und doch stand sie mit ihren „Widerstandssocken“ wie nur wenige weitere Figuren, zu denen Altlandrat Hans Schuierer zählt, für das, was die Bayerische Staatsregierung bei ihrem Plan WAA nie einkalkuliert hatte: Oberpfälzer, die sich aus Liebe zu ihrer Heimat CS-Gas und Schlagstöcken aussetzten, Menschen wie Gietl.

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Sprach man mit ihr über die Zeit, als sie als Hausfrau mit drei Kindern, bis dahin völlig unpolitisch, in den Widerstand gegen die WAA ging, hörte man Sätze, die lange nachhallen. „Wie man uns Menschen (bei den Demonstrationen) behandelte, kam von der Obrigkeit, dabei sollte doch die Obrigkeit für uns da sein.“ „Wir konnten nicht daheimbleiben, auch wenn es uns da besser gegangen wäre, denn es ging um die Zukunft unserer Kinder.“ Oder: „Die Demokratie gehört gepflegt.“

Die gestrickte Socke als Markenzeichen



Auch nach dem Ende der WAA blieb Gietl ihrem gesellschaftlichen Engagement treu. Sie hatte Kontakt zu japanischen Kernkraftgegnern, engagierte sich für Flüchtlinge im Kirchenasyl oder strickte mit ihren „Mittwochsstrickerinnen“ für einen guten Zweck. Besuchte man sie, war es undenkbar, den Termin ohne von ihr gestrickte Socken als Geschenk wieder zu beenden. Mit 93 Jahren hat sie nun für immer die Stricknadeln, die ein untrennbarer Teil von ihr zu sein schienen, aus der Hand gelegt.